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Prozessbericht vom 24.02.2021 im Amtsgericht

Silvester am Connewitzer Kreuz 2019 / 2020 | Angeklagter 4 | Tag 4

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Richter Hühner eröffnete den Prozess mit dem Hinweis, der Termin sei nur dazwischen geschoben worden um drei Beschlüsse zu verlesen: Die Wortlautprotokollierung des Zeugen Schönrath sowie Einsicht in den Einsatzbefehl wurden abgelehnt. Ebenso der Antrag eine Liste der am Einsatz beteiligten Polizisten sowie ihrer Kennung zu ermitteln. Neben einer fehlenden rechtlichen Grundlage, sei die Verletzung des Angeklagten ohne Bedeutung im Verfahren. Eine erstaunliche Aussage gegenüber dem wiederholten Vorwurf von Polizeigewalt während der Festnahme. Einer zunehmend unbegründeten Festnahme, wie sich später bestätigen würde. Weiterlesen

Prozessbericht vom 02.12.2020 im Amtsgericht

Silvester am Connewitzer Kreuz 2019 / 2020 | Angeklagter 4 | Tag 3

Um 09:30 Uhr begann der 3. Verhandlungstag. Nicht alle anwesenden solidarischen Prozessbegleiter*innen und Pressevertreter*innen konnten Platz im Saal finden. Das lag zum einen an den erforderlichen Mindestabständen zum Infektionsschutz und zum anderen an zwei uniformierten und bewaffneten Polizist*innen, die sich dreist auf die ohnehin spärlich vorhandenen Zuschauer*innen-Plätze setzten.

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Auf zur solidarischen Prozessbegleitung am 02.12.!

Der vierte Silvesterprozess geht in den dritten Verhandlungstag. Für Spannung ist gesorgt: Weitere Polizei-Zeugen werden eine wohl sehr fantasievolle Version der Silvester-Nacht zu Protokoll geben.
Notiert euch: Mittwoch der 02. Dezember geht es um 9:30 im Amtsgericht Leipzig los: Saal 201 / Aktenzeichen (207 Ls 608 Js 20/20).
 
Denkt bitte daran, dass Einlasskontrollen durchgeführt werden. Bringt ein Ausweisdokument mit und lasst euer Handy nach Möglichkeit zuhause, ihr müsst es sonst bei den Beamten abgeben.

PE: Silvesterprozess 4, Tag 2 +++ Haftbefehl aufgehoben +++ Befangenheitsantrag +++

Am 11.11. fand der zweite Verhandlungstag im vierten Prozess zur Connwitzer Silvesternacht 2019/20 am Amtsgericht Leipzig statt. Dem Angeklagten wird u.a. Körperverletzung gegen Polizeibeamte vorgeworfen.

Das Gericht eröffnete mit der Aufhebung des seit Januar vorliegenden Haftbefehls und der Meldeauflagen. Damit wurde gegen den Willen der Staatsanwaltschaft einem vorausgegangenen Antrag des Verteidigers statt gegeben.

Ein Antrag das Verfahren auf Grund der Covid-Situation zu verschieben wurde dagegen abgelehnt. Das Gericht verwies leichtfertig auf bestehende Hygienebestimmungen, ging aber in keinem Punkt auf die Zugehörigkeit des Angeklagten zu einer Risikogruppe ein. Als Konsequenz stellte die Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen den vorsitzenden Richter. Dieser würde dem Angeklagten unabhängig des Prozessausgangs eine Ersatzstrafe zuführen indem er auf die schnelle Sacherledigung bestehe. Eine Entscheidung der prüfenden Abteilung steht aus.

Anschließend lehnte der Richter audiovisuelle Aufzeichnungen der Zeugenaussagen ab. Diese wären dem Rechtsanwalt zufolge notwendig, da Polizei-Zeugen zuvor Akteneinsicht erhalten hatten und damit ihre originären schwer von angelesenen Erinnerungen zu unterscheiden sind. Ein daraufhin erfolgten Widerspruch gegen die Vernehmung solcher „priviligierter“ Zeugen wurde ebenfalls abgelehnt.

Im Kern der Verhandlung stand die Zeugenanhörung von zwei Polizeibeamten: F. Petter und J. Schönrath. Wie sich herausstellte hatten beide keine konkrete Initialhandlung, wie einen Faustschlag, durch den Beschuldigten beobachtet. Darüber hinaus bestätigten sie ebenfalls unabhängig von einander eingeschränkte Sichtverhältnisse, trotz derer sie auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung einen unbehelmten Beamten in einem „Gerangel“ mit dem Beschuldigten erkannt haben wollen. Wer genau den Befehl zum Hinüberrennen gab und wie dieser übermittelt wurde blieb dagegen im Dunkel. Für die Folge dieser möglicherweise nicht angebrachten Maßnahme, Bewusstlosigkeit und erhebliche Verletzungen des Angeklagten, wollte sich der am Zugriff beteiligte Polizist Petter nicht entschuldigen. Eine polizeiliche Nachbesprechung des Sachverhaltes fand dem Gruppenführer des Einsatzes, Schönrath, zufolge nicht statt.

Anja Schwerthoff vom Solidaritätskomitee 31.12. dazu: „Wir fragen uns wie ein der Art gewaltsames Einschreiten in eine offenbar ungeklärte Situation gerechtfertigt ist. Im Gegenteil liegt im Kontext des offensiven Auftritts der Polizeikräfte in der Silvesternacht eine gewollte Aggression durch die Beamten Nahe. Gerade im polizeifeindlichen, links-alternativen Connewitz müssen persönliche Motive berücksichtigt werden – bei einer sächsischen Polizei, in der rechtsextreme Gesinnungen schon lange keinen Einzelfall mehr darstellen“. Letzteres sei auch im aktuellen Prozess sichtbar: Im Verlauf des Anhörungen wurden die Zeugen zu einem Foto befragt, auf welchem der Beamte Petter mit dem bekannten Nazi Brian Engelmann und Mitgliedern des rechtsgerichteten Imperium Fight Teams zu sehen sind.

Für den folgenden Prozesstag am 02.12. kündigt das Solidaritätskomitee 31.12. weitere Aktionen an.

 

Leipzig, den 12.11.2020

Auf zur solidarischen Prozessbegleitung am 11.11.!

Der vierte Silvesterprozess geht in den zweiten Verhandlungstag. Für Spannung ist gesorgt: Mehrere Polizei-Zeugen werden eine wohl sehr fantasievolle Version der Silvester-Nacht zu Protokoll geben. Unter ihnen im Zeugenstand auch Stargast Ronny Golze, der rechtsoffene Rowdy-Cop.
 
Notiert euch: Mittwoch der 11. November geht es um 9:30 im Amtsgericht Leipzig los: Saal 201 / Aktenzeichen (207 Ls 608 Js 20/20).
 
Denkt bitte daran, dass Einlasskontrollen durchgeführt werden. Bringt ein Ausweisdokument mit und lasst euer Handy nach Möglichkeit zuhause, ihr müsst es sonst bei den Beamten abgeben.

Prozessbericht vom 23.10.2020 im Amtsgericht

Silvester am Connewitzer Kreuz 2019 / 2020 | Angeklagter 4 | Tag 1

Um 9:30 Uhr wurde der nächste Prozess im Kontext der Ereignisse am Connewitzer Kreuz an Silvester 2019/20 am Amtsgericht Leipzig eröffnet. Als solidarische Beobachter*innen mussten wir zunächst Einlasskontrollen über uns ergehen lassen (Personalien, Taschenkontrollen, Abtasten, Hanyds abgeben). Sie sollten, wie auch die sieben Beamten vor der Tür, den friedlichen Verlauf der Verhandlung sicher stellen. Später begründete der Richter die Maßnahmen mit der Veröffentlichung des Termins auf Internetplattformen, deren Nutzer*innen wohl nicht alle nur zum ruhigen Zusehen kämen.

Nach dem Eintreffen von Richter Hüner und zwei Schöffen verlas Staatsanwalt König (StA) die Anklage. Dem Angeklagten wird vorgeworfen dem Beamten Ronny Golze, der gerade eine Festnahme durchführen wollte, den Helm vom Kopf gerissen zu haben. Daraufhin habe er dem Hundertschafts-Führer zwei Mal ins Gesicht geschlagen und dann den Helm fortgeworfen. Die eigentliche Zielperson der Polizei konnte sich laut Anklage dadurch dem polizeilichen Zugriff entziehen. Daraus ergebe sich Widerstand und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Gefangenenbefreiung sowie Widerstand und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzliche Körperverletzung.

Im nachfolgenden organisatorischen Teil der Verhandlung stellte der verteidigende Rechtsanwalt (RA) zunächst zwei Anträge:
1. Die Aufhebung des ausgesetzten Haftbefehls, da es keine Gründe für diesen gibt. Die Entscheidung verlagerte Richter nach den Prozesstag.
2. Aussetzung des Verfahrens wegen der Covid-Situation. Der Angeklagte gehört zu einer Risiko-Gruppe und das Verfahren könnte ohne Weiteres auf das Frühjahr verschoben werden. Mit den Worten: „Ihre Gesundheit ist mir egal“, verwies der Richter auf Hygienemaßnahmen, ging aber nicht auf die Argumentation des RA ein. Nach einer Pause war die Entscheidung den Prozess fortzuführen daher nicht überraschend.

Anschließen verlas der RA des Angeklagten einer Verteidigererklärung: Darin hob er zunächst den Kontext der Ereignisse hervor, nämlich den sehr konfrontativen Polizeieinsatz an diesem Abend sowie die anschließenden Lügen der Polizei. Nachdem die Polizei noch in der Silvesternacht mit ihrer Darstellung der Ereignisse voraus geprescht war stellte ein kritisches Medienecho zurecht die polizeiliche Darstellung der Ereignisse in Frage. Überdies wurde gezeigt, dass es weder wie von der Polizei behauptet ein abgerissenes Ohr mit Not-Operation gab, noch von den Feiernden ein Angriff mit einem brennenden Einkaufswagen ausging. Es sei zudem erstaunlich, dass der neue Polizeipräsident, anders als in den letzten Jahren, nicht auf Deeskalation zu setzen scheint. Gerade im Stadtteil Connewitz, der ohnehin unter einem zunehmendem Belagerungszustand leide.
Die konkreten Tatvorwürfe seien darüber hinaus sehr fraglich. Der Angeklagte soll dem Polizisten zwischen Helm abreisen und den Schlägen ins Gesicht einen flotten Spruch im Stil von Bud Spencer und Terence Hill gesagt haben: „Den brauchst du nicht mehr, es wird sowieso gleich dunkel“. Dieses Zitat wurde auch vom StA in der Anklage vorgelesen. Später bringt der RA noch an, dass sich auf dem Helm weder Fingerabdrücke noch DNA-Spuren von dem Angeklagten befanden. Dieses „Detail“ kommt in der Anklageschrift nicht vor. Genauso wenig, dass der Angeklagte während der Festnahme das Bewusstsein verlor und im Gesichts- und  Kopfbereich stark blutete. Ein Rettungswagen musste ihn ins Krankenhaus bringen. Die Polizeibeamten dagegen seien unversehrt geblieben.

Nach der Eröffnung der Beweisaufnahme stellte der RA gegen Widerstand des Richters den Antrag das Verfahren auf Grund von Verfahrenshindernissen einzustellen. Als Begründung geht er auf die
höchst umstrittene Rolle von Polizist*innen als Zeug*innen aus. Zumal es in diesem Verfahren neben fünf Beamten keine weiteren Zeug*innen gibt. Sie hätten, nicht zuletzt wegen der Verletzungen des Angeklagten, ein Eigeninteresse an einer Verurteilung. Sie haben umfangreiche Möglichkeiten sich abzusprechen und vorzubereiten, da sie vorab die Akten lesen konnten. Der Antrag blieb, wie auch der nachfolgende ohne Entscheidung. Allerdings gab sich der Richter keine Mühe seine ablehnende Haltung gegen die Argumente des RA zu verbergen. So auch bei dem folgenden Antrag für umfassende Akteneinsicht: In der bisherigen Akte fänden sich an zentralen Stellen Querverweise zu weiteren Dokumenten, welche zum Zwecke der Verteidigung gesichtet werden müssten, so der RA. Weiterhin fehle ein Großteil des Videomaterials sowie Einsatzbefehl, Einsatz- und Funkprotokolle des Abends. Daraus könnte zum einen ersichtlich werden wie es zu der Eskalation seitens der Polizei kam. Auf der anderen Seite ließen sich dadurch mehr Zeugen für die Gewalthandlungen gegen den Angeklagten während der Festnahme finden. Richter und StA betonten, dass die Akte umfänglich vorliegen würden – zumindest alle relevanten Teile. Diese absurde Äußerung wiederholte der StA auch in Bezug auf die Videoschnippsel, welche als Beweismaterial gegen den Angeklagten angeführt werden. Es sei nichts relevantes zu sehen auf den anderen Aufnahmen. Selbst angesehen habe der StA die Aufnahmen aber auch nicht. Wie um die Bedenken des RA zu untermauern führte der StA an, dass ein interner Prüfvorgang gegen das Vorgehen der involviertem Beamten bereits abgeschlossen sei.

Abschließend kündigte der Richter ein Selbstlese-Verfahren an und verteilte dazu eine Aktenmappe. Der  RA forderte, dass mindestens der DNA-Untersuchungsbericht – welcher die Unschuld des Angeklagten nahelegen würde – nicht in der Selbstlesung untergehen und deshalb im Prozess verlesen werden sollte.

Nach etwa zweieinhalb Stunden endete damit der erste Prozesstag. Die Fortführung ist am 11. November um 9:30 im Amtsgericht Leipzig mit den Zeugenvernehmungen von Polizisten. Um das Gericht betreten zu dürfen solltet ihr folgende Informationen als Ziel eures Besuches angeben: Saal (201) und Aktenzeichen (207 Ls 608 Js 20/20).

Auf zur solidarischen Prozessbegleitung wegen Silvester am Kreuz!

Am Freitag beginnt der Prozess gegen einen Beschuldigten wegen der Auseinandersetzungen am Connewitzer Kreuz zu Silvester 2019/2020.

Die Verhandlungen sind wie folgt terminiert:
23.10.2020 in Saal 257,
11.11.2020 in Saal 201 und
02.12.2020 in Saal 201
und beginnen jeweils um 9:30 Uhr am Amtsgericht Leipzig.

Kommt zum Prozess und zeigt euch solidarisch!

Weitere Infos auf dievomkreuz.noblogs.org und auf twitter.com/solidievomkreuz

Erklärung zum Prozess von Kevin J. am 23. Juni 2020

Heute wurde Kevin J. nach 174 Tagen U-Haft zu 14 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, da er in der Silvesternacht 2019 zwei Polizeibeamte tätlich angegriffen, danach Widerstand geleistet sowie drei weitere beleidigt und bedroht haben soll. Hinzu kommen ein weiterer tätlicher Angriff und Widerstand im Zentralen Polizeigewahrsam (ZPG) am Folgetag und eine Beleidigung im Dezember 2019. So weit, so bedrohlich.

Nach der Verhandlung ruft uns Kevin zu: „Es ist nicht rechtens, ich gehe in Berufung!“ Eine aus unserer Sicht gut nachvollziehbare Entscheidung. Die Einzelheiten der Verhandlung veröffentlichen wir zeitnah in unserem Prozessbericht. Zunächst lässt sich aber feststellen, dass der Verurteilung ein Tritt, ein Beamter mit schlechtem Gleichgewicht und ein paar betrunkene Beleidigungen (denen wir uns großteils anschließen können) zu Grunde liegen. Im folgenden beleuchte wir die Hintergründe des Urteils:

1. Abschreckung

Ein Video der Silvesternacht zeigt, wie Kevin von der Polizei zur Seite geschubst wird, woraufhin er stolpert oder den Polizisten tritt – letzteres ist nicht genau zu erkennen. Unmittelbar darauf stürmen bereits drei Beamte auf Kevin zu und überwältigen ihn brutal.

Im heutigen Prozess wird klar: Jede Reaktion auf eine polizeiliche Maßnahme ist unerwünscht. Zuwiderhandlung muss unmittelbar und hart bestraft werden, damit die Hegemonie der Polizei nicht in Frage gestellt wird. Das zeigt sich sowohl im individuellen Handeln der einzelnen Beamten, als auch in der zugrunde liegenden Gesetzgebung. So wurde zuletzt 2017 die Möglichkeit zur Abschreckung mit der Schaffung des „Tätlichen Angriffs“ ausgebaut, womit praktisch jede Widerstandshandlung gegen die Polizei zu einem Angriff wird.

Zu Silvester 2019 begegnete die Polizei der allgemeinen Ablehnung am Connewitzer Kreuz in diesem Sinne direkt und unmittelbar, nimmt sich den öffentlichen Raum und ahndet jede Zuwiderhandlung, wie jedes Jahr.

2. Anfänge

Viele Ausschreitungen der letzten Monate haben genau so ihren Anfang gefunden: Die Polizei macht sich im öffentlichen Raum breit und demonstriert ihre Macht – wohl wissend, dass sie unerwünscht ist. In Situationen wie der Silvesternacht geschieht dies derart übergriffig, dass eine Reibung absehbar ist – oder einkalkuliert, wie wir bzgl. Silvester 2019 gezeigt haben.

Um dabei ihre Legitimation aufrecht erhalten zu können, stellt die Polizei ihre Machtdemonstration als notwendiges Mittel dar um gegen rechtsfreie Räume wie die Eisenbahnstraße und Connewitz, gegen die dort lebenden „Kriminellen“ vorzugehen. Hier gelinkt die Umkehrung von Aktion und Reaktion dann besonders einfach, handelt es sich bei den Störern doch um vorurteilsbehaftete „Randgruppen“, also Linke, Ausländer oder Obdachlose.

Diese Perspektive lässt die Richterin Riedel natürlich außen vor. Denn ihre Konsequenz wäre ein Angriff, der von den Polizeibeamten ausgehend willkürlich einen Passanten trifft. Zufällig einen mit Vorgeschichte.

3. Klassenkonflikt

Die Richterin stellt immer wieder Fragen zu Schullaufbahn, Alkoholkonsum und Familie des Angeklagten. Die Antworten sind bewegend und erzählen von einem Leben, das weit entfernt vom monatlichen Einkommen des Herrn Staatsanwalts Ricken auch zu einigen Vorstrafen geführt hat. In den letzten Wochen Haft will er sich kümmern, scheitert aber am Misstrauen von Vermietern und Arbeitgebern. Zur Haftentlassung „bekommt man 300 Euro und dann viel Glück“, schließt Kevin den Bericht. Die Richterin kommentiert abwesend: „Ja, wir haben es alle mal schwer im Leben“.

Schlechte Sozial- und Kriminalprognose, so übersetzt sie im Einklang mit Ricken „keine weitere Chance verdient“. Denn selbst nach den eignen Maßstäben ist das Justizsystem nicht geeignet Menschen wieder einzugliedern. Aus dem Raster fallen aber nicht alle gleichermaßen, sondern, wie in vielen Studien dargelegt, primär prekarisierte Menschen wie Kevin.

Hinzu kommt der Rassismus gegen BPoC, der im Prozess gleich doppelt wirkt. Zum einen in der Lebenserfahrung: Unterdrückung in der Schule, Demütigung durch die Polizei, gesellschaftlicher Ausschluss. Zum Anderen im Gerichtssaal, wenn sich die Richterin mitten im Prozess erkundigt, welches denn das Herkunftsland des Deutschen sei.

Vor der Justiz sind eben doch nicht alle gleich. Wie auch, wenn die Justiz auf das funktionieren des kapitalistischen Staates ausgerichtet ist, wenn das Privateigentum per Grundgesetz gesichert und eben jenes Grundgesetz sowie das Strafgesetzbuch von weißen Männern geschrieben wurde. Es ging und geht um ihre Interessen. Konsequenterweise haben Richterin und Staatsanwaltschaft in beeindruckender Kälte zur Schau gestellt, wie gleichgültig ihnen die Zukunft des nun wieder Inhaftierten ist.