GG/BO Berlin: „Solidarität mit dem Hungerstreik von Néstro!“

GG/BO Soligruppe Berlin, vom 22.01.2020:

Seit dem 17.01.2020 befindet sich Néstro im Hungerstreik im Knast Leipzig. Er wurde mit elf weiteren Personen am Rande der Silvester-Ereignisse vom Connewitzer Kreuz in Untersuchungshaft genommen. In einem offenen Brief fordert er „die Freilassung aller drei seit dem 01.01.2020 in Untersuchungshaft Sitzenden bis zu einer fairen Verhandlung, um unsere Unschuld zu beweisen.“

Als Soligruppe lehnen wir das Konstrukt „Schuld oder Unschuld“ entschieden ab, weil es bedeutet, sich auf die Spielchen des Staates, seinen Zuschreibungen von „gut und böse“, seiner Justiz, seinen angeblichen „Rechtsprechungen“ und seiner Konstruktion, es gäbe so etwas wie eine individuelle „Schuld“ in einer Gesellschaft, welche Menschen u.a. zu Handlungen zwingt, einzulassen. Die Beteuerung der Unschuld kann gleichzeitig eine Distanzierung von Handlungen bedeuten und Strukturen gefährden – denn die Staatsdiener*innen werden definitiv mit Schnüffeleien und Ermittlungen nicht aufhören. Diejenigen, welche für eine herrschaftsfreie Welt kämpfen, sind dem Staat ein Dorn im Auge – deswegen will er sie auch manchmal hinter Gittern sehen.

Trotzdessen zeigen wir uns solidarisch mit allen Gefangenen, welche versuchen, sich gegen das Knastsystem zu wehren – so also auch mit Néstro. Die von ihm gewählte Form des Hungerstreiks ist dabei eine krasse und auch diskussionswürdige Widerstandsform, weil sie bedeutet, den eigenen Körper und damit sich selbst massiv zu schaden. Auch fraglich ist, inwiefern es Justizschweine tatsächlich interessiert, wenn Körper von Gefangenen vorm Verrecken bedroht sind. Auch innerhalb der Gefangenen-Gewerkschaft wurde diese Widerstandsform schon oft angewandt, leider auch oft ohne Erfolg bzw. ohne die Aussicht, dass sie die Knäste in die Knie zwingt. Mit den Erfahrungen der hungerstreikenden Gefangenen aber auch der Betrachtung von Widerstandsformen, welche Knäste/das Knastsystem direkt, zum Beispiel in seinem Profit angreifen, denken wir, dass direkte Angriffe gegen ihr System, gegen ihre Verantwortlichen und gegen ihr Kapital zielführender sind, als Angriffe gegen den eignen Körper. Wir sind aber auch gerne bereit, darüber stetig zu diskutieren und jegliche Widerstandsform kritisch zu hinterfragen.

Weiterhin finden wir es wichtig, jede Fest-/ Gewahrsamnahme und jede Einsperrung von Menschen in Bezug zur aktuellen politischen Situation zu setzen. So, wie es nicht verwunderlich ist, dass die meisten Menschen in der BRD wegen Wirtschafts- oder Eigentumsdelikten im Knast sitzen, weil eben das Kapital das schützenswerteste Gut in dieser Gesellschaft und von Politik und Justiz jederzeit am meisten verteidigt wird, so ist es auch nicht verwunderlich, dass die drei Gefährt*innen immer noch im Knast verharren müssen. Der Stadtteil Connewitz ist seit Jahren im Fokus von polizeilichen Ermittlungen, immer wieder schwafeln Politiker*innen und Presse was von einer linksextremistischen Szene, gegen welche es vorzugehen gilt. Zu Silvester wurde medial dann noch einmal richtig vorgelegt. Medien übernahmen 1zu1 Bullenmeldungen, zeichneten dadurch ein völlig überzogenes Bild von den tatsächlichen Ereignissen und befeuerten damit den Diskurs gegen Links. Auch eine Sprecherin vom Solidaritätskomitee 31.12 erklärt, dass gerade Silvester für die Bullen deswegen ein „willkommener Moment zur Eskalation“ war, welcher „politisch zugunsten des konservativen Bürgertums ausgeschlachtet wurde“. Auch Néstro kritisiert in dem Zusammenhang die Brutalität der Festnahmen, sowie die „an den Haaren herbeigezogenen Untersuchungshaftgründe“.

Es ist offensichtlich, dass mit der Inhaftierung der drei Gefährt*innen ein Exempel statuiert werden soll. Denn obwohl die Presse mittlerweile stark zurückrudern musste, weil auch sie feststellte, dass die Bullenmeldungen dann doch nicht ganz stimmten, muss politisch natürlich an dem Bild der bösen Linksextremist*innen festgehalten werden. Der Bezug auf den Stadtteil Connewitz als „linke Hochburg“ ist dabei nur ein Beispiel: „Während in Connewitz die widerständigen Linken zum Feindbild der Polizei wurden, sind es in Grünau prekarisierte Jugendliche und um die Eisenbahnstraße Migrant*innen.“ Daraus schließt eine Sprecherin des Solidaritätskomitees: „In diesem Kontext betrachten wir die Geschehnisse vereinfacht als politische Konfrontation zwischen Unterdrückten und der herrschenden Klasse.“

Auch Néstro bekräftigt diese Perspektive: „Es macht mich traurig, in die Gesichter der Gefangenen zu schauen, ihre Geschichten zu hören, die zurückzuführen sind auf den alles beherrschenden Kapitalismus. In einer Gesellschaft, in der man klauen muss, wenn man kein Geld hat, um sich etwas zu Essen zu kaufen, man schwarzfahren muss, wenn man sich kein Ticket kaufen kann, oder man im Drogensumpf versinkt. Weil einem die Gesellschaft das Gefühl gibt, wertlos zu sein, wenn du kein Geld hast. Darum verkaufen Leute Drogen, um Prestige-Objekte wie Markenklamotten oder dicke Autos zu kaufen und Anerkennung zu bekommen in dieser Gesellschaft. Sie sind keine Straftäter. Die Verbrecher sind die, die da oben sitzen und uns mit Füßen treten.“

In diesem Sinne rufen wir dazu auf, eben gegen diese Verbrecher*innen vorzugehen! Konfrontiert die Verantwortlichen für Knäste mit ihren Schweinereien! Unterstützt auch Néstro und die anderen Gefangenen im Knast Leipzig. Schreibt Briefe, macht Feuerwerke, brüllt vorm Knast rum, was das Zeug hält, brecht die Isolation! Seid wütend, laut, widerständig und unberechenbar. Für die Freiheit aller Gefangenen!“

Quelle: https://ggbo.de/solidaritaet-mit-dem-hungerstreik-von-nestro/